Montag, 23. September 2013

Tag 3: Von Frustration zu Euphorie

GENUA-TOUR 2013


17.08.2013 -- TAG 3
Alles wird gut !




Es ist immer schwierig, sich nach ernüchternden Erlebnissen wie solch einer katastrophalen Nacht, in der alles gegen einen zu sein scheint, zu motivieren. Man sieht morgens dann für gewöhnlich erst einmal komplett schwarz: In Gedanken schimpfte ich über den Wetterbericht, über mein Pech, dann über meine Entscheidung, das Zelt nicht aufzubauen und dies auch nicht zu tun, als es zu tröpfeln begann, da ich davon ausgegangen war, dass es kein großer Schauer werden könnte. Ich überlegte, wie sehr sich die Nacht auf die Regeneration meiner Muskeln ausgewirkt haben könnte, wie sehr sich das Risiko von Zerrungen oder anderen Beschwerden erhöht haben könnte, ob ich eine Erkältung kriegen würde und nach all diesen Gedankengängen war ich natürlich dann sehr pessimistisch und ich sagte mir: "Abbrechen kann keine Option sein! Zur Not fährst du heute halt nur 20 Kilometer und schläfst dich dann irgendwo richtig schön aus!"

Ich kann gleich verraten: Bei 20 Kilometern blieb es natürlich nicht! Als ich mich morgens um 5 Uhr auf mein Rad gesetzt hatte, hatte ich vor allem mit Müdigkeit und schweren Beinen zu kämpfen. Bevor ich den gerade mal 10 Kilometer entfernten Ort Bersenbrück erreichte, hatte ich bereits zwei Pausen gemacht. Wenig Schlaf, der Regen und die Kälte der Nacht, das alles hatte Kraft gekostet. Auch der Gedanke an den völlig durchnässten Schlafsack, kostete mental Kraft; denn ich hatte keine Ahnung, wie ich den bis zum Abend wieder trocken bekommen sollte. Immerhin: Kurz nachdem ich losgefahren war, ließ der Regen etwas nach. Meine erste Pause verbrachte ich auf einer kleinen Bank. Ich hatte gehofft, bald eine Bushaltestelle zu finden, um Schutz vor dem Regen zu haben, doch eine Glückssträhne hatte ich ja offensichtlich nicht. Ich legte mich also auf die Bank, der Regen tröpfelte in mein Gesicht und dennoch wäre ich fast eingeschlafen, so müde war ich. Was die vorbeifahrenden Autofahrer dachten, wenn sie mich sahen, war mir schon längst egal.

Bald fuhr ich dann aber weiter, da ich hoffte, in Bersenbrück einen Supermarkt zu finden. Diesen fand ich auch bald, in dem Ort gab es gleich mehrere Discounter. Beim Einkaufen bemerkte ich dann schnell, wie unangenehm ich roch - aber das ist bei einer Radtour, auf der man wildzeltet, nunmals dabei, da die Natur nicht auf jedem Feld eine Dusche errichtet hat. Ich empfinde das auf Radtouren auch nicht als unangenehm, da es immer wieder interessant ist, wie sich andere Menschen in solchen Situationen verhalten. Einigen Leuten merkt man an, dass sie sich dadurch etwas belästigt fühlen, andere ignorieren einen, wieder andere schauen herablassend oder halten Abstand an der Kasse. Doch spätestens wenn einen genau diese Menschen vor dem Supermarkt dann nach dem Einkauf mit dem voll bepackten Fahrrad sehen, wird man wieder wie ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft behandelt. Einigen steht das Wort "Achso!" förmlich ins Gesicht geschrieben. Manch einer, der mich im Supermarkt noch für einen Obdachlosen hielt und daher bloß nicht mit mir in Verbindung gebracht werden wollte, ist dann plötzlich sehr interessiert an mir, spricht mich vor dem Supermarkt sogar an und möchte alles Mögliche über meine Tour erfahren. Das zeigt eigentlich ein ziemliches Problem unserer Gesellschaft auf, die offensichtlich nach wie vor von Oberflächlichkeiten geprägt ist, aber für Gesellschaftskritik ist dieser Blog nicht die richtige Plattform, weswegen ich das an dieser Stelle abkürzen werde.

Noch immer in Bersenbrück genehmigte ich mir dann in einer Bushaltestelle (es regnete schon wieder) erst einmal ein paar Brötchen und einen Kaffee. Letzterer ließ mich die Müdigkeit zwar nicht vergessen, aber für das eigene Gemüt war diese Pause Gold wert. Beim Lockern der Beine merkte ich, dass ich gar nicht mal so kaputt war, wie ich morgens um 5 Uhr befürchtet hatte und schon bald saß ich wieder auf dem Sattel. Kilometer für Kilometer besserten sich Laune & Optimismus.


Es ist schon eine wertvolle Erfahrung, wenn man im Laufe eines Tages spürt, was der eigene Körper so alles kompensieren kann und zu welchen Leistungen er imstande ist. Daraus erwuchs bei mir dann im Laufe des Tages eine echte Euphoriestimmung, als ich bemerkte, dass ich auch an diesem Tag ohne Probleme mehr als 100 Kilometer zurücklegen würde. Zeitweise schüttelte ich unglaubwürdig den Kopf, wenn ich auf den Tacho schaute und bekam anschließend das Lächeln nur schwer aus dem Gesicht. Hätte mir in der Nacht oder am Morgen jemand gesagt, dass ich heute eine dreistellige Kilometerzahl "raushauen" würde, denjenigen hätte ich für verrückt erklärt. Auch kleinere Anstiege dämpften die Stimmung nicht und so erreichte ich schon bald Nordrhein-Westfalen, Rheine und fast sogar noch Coesfeld. Besonders Rheine hatte mir ausgesprochen gut gefallen! Der Ort liegt übrigens trotz des Stadtnamens nicht am Rhein, sondern an der Ems!




Kurz vor Rheine wurde auch das Wetter besser. So nutzte ich kurz hinter Rheine die Gelegenheit und holte während einer Pause meinen Schlafsack aus meiner Radtasche, um diesen in der Sonne trocknen zu lassen. Ich schien dadurch auch das Interesse einiger vorbeifahrender Menschen zu wecken. Gleich mehrfach wurde ich angesprochen. Ein Mann konnte kaum glauben, dass ich am dritten Tag bereits so weit gekommen war. Ein älteres Ehepaar lud mich dann sogar noch zu Kaffee & Kuchen ein. Das Angebot nahm ich an, als die Frau betonte, dass sie sich wirklich sehr freuen würde. Nach kurzer Zeit gesellten sich auch der Sohn und die Enkeltochter hinzu und wir unterhielten uns zirka eine Stunde lang; dann brach ich auf und die netten Leute gaben mir noch eine Wegbeschreibung und eine Zeitung mit auf den Weg.

Schlafsack über´s Rad und hoffen, dass er trocken wird !
Während der Weiterfahrt schaute ich auf die Uhr und überlegte, wie wohl die Bundesligaergebnisse lauten würden. Doch ich war in Nordrhein-Westfalen und hier dauert es nicht lange, bis man von fussballverrückten Leuten etwas erfährt. 15 Minuten nach Abpfiff hatte ein vorbeifahrender Radfahrer mein Japan-Trikot aus der Ferne für ein Schalke-Shirt gehalten und rief in einem kaum nachzuahmendem rheinischen Dialekt: "Wolld graad schon saagen: "Kumma Schaalke!" Die hamm jerad 0:4 verlor´n!" Schalke-Wolfsburg also 0:4 - das erste Ergebnis wusste ich somit schonmal.

Wenig später lud mich noch ein Mann auf ein Bier ein, der natürlich alle weiteren Ergebnisse parat hatte. Dass der HSV zu Hause 1:5 gegen Hoffenheim untergegangen war, hatte ich bereits per SMS erfahren. Doch von ihm erfuhr ich dann auch die restlichen Ergebnisse des Spieltags. Ich kann bestätigen: Nordrhein-Westfalen ist fussballverrückt!

Eintopf essen und kurz darauf wurde ich auf ein Bier eingeladen
Am Abend sprach ich dann kurz vor Coesfeld einen Bauern an, da ich nach einem Schlafplatz suchte. Er war sehr freundlich - wie eigentlich alle Menschen, die ich in dieser Region getroffen habe. Ich durfte mein Zelt dann hinter seiner Scheune aufschlagen, blickte auf einen tollen Tag zurück und konnte mich mal richtig ausschlafen! Der Tag war vermutlich der Lohn für´s Weitermachen, nachdem ich am Morgen ziemlich erschöpft und frustriert war. Ich war sehr netten Menschen begegnet, wurde zu Kaffee & Kuchen und später noch einem Bier eingeladen und auch der Schlafsack war am Abend wieder trocken. Es ging mir vorerst wieder gut! Zumindest vorerst...der nächste Bericht folgt in Kürze!

Nachts regnete es zwar wieder, aber diesmal war ich ja im Zelt... :-)